Ein joint project, für das Angela Dauber zunächst einige zwischen 1996 und 2021 entstandenen Gedichte eingelesen hat, die kleine Serie „mundgerecht“ und interpoliert die Einzeltexte „heute gestern morgen" und „wie wir sind ich". Die musikalische Neuinterpretation und freie Um/Überformung generiert Michael Lange ganz aus dem Gesprochenen, der Stimme – keine additionals, keine external sounds, sagt er – und hat des hermaphroditischen Gleichgewichts wegen die Originalstimme fast durchgehend um etwa eine Quinte tiefer getuned.
April 2023
Romola treffen – amorphes Gedächtnisprotokoll
Oktober 1973 | Oktober 2022, was bleibt nach 49 Jahren
Angela Dauber
Witwen haben ein schlechtes Image. So auch Romola Nijinsky, die Frau, die sich den Jahrhunderttänzer angelte. Nur um ihn wenig später an eine Geisteskrankheit zu verlieren. Romola begleitete Nijinsky bis zum Tod 1950, dennoch ist ihr Ruf nicht der beste. Aber warum? Eine im neuen Band der Reihe „Tanz und Archiv“ geschilderte Begebenheit mag das erklären. Mitte der 1970er-Jahre stürzt Romola an die Rezeption des vornehmen Pariser Hôtel Lotti, in dem sie Quartier bezogen hat: Ihre Preziosen sind weg, spurlos verschwunden. Fast 50 Jahre später erinnert sich eine Augenzeugin: „Der Portier, sehr höflich und sehr reserviert, schlägt vor im Hotelsafe nachzuschauen. Natürlich findet sich dort der Schmuck, sie hatte ihn selbst hinterlegt. Das ist es, schießt es mir durch den Kopf, und ich bekomme eine Ahnung ihrer zweischneidigen Energie, spüre intuitiv das Ambivalente ihrer konstruktiv-destruktiven Kraft. … Mit unglaublichem Willen initiiert sie Dinge, treibt sie Projekte voran und bringt sie zum Scheitern.“ Angela Dauber, Tanzwissenschaftlerin und Dramaturgin, verfasst diese hellsichtigen Sätze über Nijinskys Witwe in einer rundum geglückten, durchweg exzellent geschriebenen, von Claudia Jeschke und Irene Brandenburg herausgegebenen Publikation. Lohnenswerte und leichtfüßige Lektüre.
Dorion Weickmann
tanz Juni 2023
War es bei unserem ersten Besuch in Bad Gastein? Sie zeigt uns Dokumente, ein Foto fällt ihr in die Hände, es ist aus den mittleren oder späten 1940er Jahren: Waslaw Nijinsky mitten in einer über und über blühenden Margeriten-Wiese, fokussiert, in die Betrachtung der Blumen versunken. Romola hält uns das Foto hin, dass wir es anschauen.
„Er ist doch nicht verrückt…“ sagt sie, ein mädchenhaft zartes Lächeln huscht ihr übers Gesicht, verliebt und jung, für einen Moment … für immer, „ist doch nicht verrückt!“
Tanz Schreiben: Artefakte, Hypertexte – und Nijinsky
Tanz & Archiv Forschungsreisen, Heft 10
hg. v. Irene Brandenburg und Claudia Jeschke
derradanceresearch
epodium Verlag, München
epodium.de
