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Oberbayerisches Volksblatt  15.4.2014
Birgit Löffler

Reiz der Flüchtgkeit: Eine im Wortsinn äußerst lebendige Form der Kunst im öffentlichen Raum fand sich am 22. März in Rosenheims Innenstadt ein:
Fünf dunkel gekleidete Performer lehnten, saßen oder lagen wie absurde Statuen mitten im samstäglichen Einkaufsrummel, bewegten sich auf und um den Max-Josefs-Platz und wechselten immer wieder die Position. Neon-orangefarbene Kissen dienten dabei als Kontaktpunkt für den Kopf zur Außenwelt, und ein umgehängter kleiner Lautsprecher verstärkte gelegentliche Äußerungen der „Statuen“. Von manchen Passanten übersehen oder ignoriert, von anderen amüsiert, irritiert, überrascht oder neugierig beobachtet, verschwanden die Performer nach zwei Stunden wieder in
der Städtischen Galerie.
Dort findet derzeit eine retrospektive Ausstellung des Performance-Duos Angela Dauber und Samuel Rachl statt. Schon seit 1987 erarbeiten die Performerin Dauber und der bildende Künstler Rachl gemeinsam ihre Kunstprojekte, während sie parallel dazu gleichzeitig ihre eigenen künstlerischen Wege gehen. Unabhängig voneinander entwickelten sie zuvor ihr Interesse für neue Kunstformen an der Grenze zu den Nachbardisziplinen und gehörten zu den ersten Performancekünstlern, welche die Stadt auch außerhalb geschützter Kunsträume bespielten.
Noch während der Außenraum als Aufstellungsmöglichkeit oder Skulpturenpark gerade mal für Skulpturen gesellschaftsfähig wurde, eroberten Dauber und Rachl ihn performend im Kollektiv mit Wissenschaftlern, Literaten und Kollegen aus den unterschiedlichsten Kunstsparten. Damit gehörten sie zu den absoluten Vorreitern einer Tendenz, die erst in den letzten zehn Jahren breitere Aufmerksamkeit erfuhr. Im Gegensatz zu zahlreichen Aktionen oder Einzelperformances geht es Dauber und Rachl immer um die Abkehr von Objekt und Einzeldeutung zugunsten der kollektiven Handlung und Autorschaft. Dabei wird unter dem Dach einer übergreifenden Idee jedem einzelnen Akteur sozusagen als Spezialisten auf seinem Gebiet die Autonomie seines Handelns zugestanden, so dass keiner von ihnen eine auferlegte Rolle „spielt“, sondern authentisch und professionell agiert. Das bewusst Flüchtige der Aktion, das auf Anhieb oft rational nicht Fassbare, vor allem aber auch der unkommerzielle Charakter erscheinen im ökonomischen Denken fragwürdig und vertreten eine ähnlich unkonventionelle Position wie die Pioniere der Kunstaktionen in den 1960er-Jahren.
Daubers und Rachls Aktionen und Installationsperformances greifen Geschichte, Funktion und Architektur des bespielten Raumes auf und erschaffen für einen kurzen Zeitraum eine neue Wirklichkeit, in der auch der Betrachter eine aktive Rolle einnimmt. Dazu gehörten bei der Rosenheimer Performance Passanten, die von den Akteuren einbezogen wurden und die
Zeit ihres Stadtbesuchs quasi anhielten, oder auch reine Beobachter wie ein älterer Herr, der die an ihre Kissen gelehnten PerformerInnen eine Zeitlang aufmerksam begleitete, um dann mit festem Nicken seine Interpretation zu bestätigen:
„Einfach mal zur Besinnung kommen!“.
Die mobilen Skulpturen in ihrer spontanen Choreografie, so minimalistisch sie auch sein mögen, erzeugen mit ihrer ungewohnten Anwesenheit im gewohnten Umfeld eine viel größere Aufmerksamkeit als die gewohnten Kunstobjekte am Wegesrand. Das prädestiniert sie für den Stadtraum mit seinen vielfältigen Ablenkungen durch Werbung, Verkehrsschilder, Cafés oder Warenständer als zukunftsweisende Kunstform.
Der Reiz der Flüchtigkeit aber hat eine Kehrseite. In Museen herrscht weiterhin die Konzentration auf Bilder und Skulpturen, während eine Aktion nur dann dokumentiert wird, wenn an ihre Stelle planmäßig Video oder Foto treten. Bis auf wenige Ausnahmen, wie zum Beispiel Relikte und Dokumentationen von Beuys-Aktionen, erlischt ansonsten die Erinnerung an eine Kunstform wie diese. Dem gebürtigen Traunsteiner Samuel Rachl verdanken wir jedoch einen ganzen Satz von skulpturalen Objekten, die für die verschiedenen Performances als „Mobiliar“ dienten. Und der Städtischen Galerie Rosenheim verdanken wir die seltene Gelegenheit, dieses – „retrospektiv reloaded“ – durchwandern zu können, im Rahmen der Ausstellung sogar aktualisiert durch vier performative Aktionen wie eben die „Öffentlichen Miniaturen“, deren leuchtendes Neon-Orange der Kissen dem Betrachter nicht nur in der Galerie wieder begegnet.

Kritik
22. März … durch den Kopf
öffentliche Miniaturen
von Dauber | Rachl und
Ruth Geiersberger
Katrin Schafitel
Jan Schulz
Walter Siegfried
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Fotos  Franz Kimmel  Karl Wallowsky  Martin Weiand
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6. April